08.04.-10.04.2022 in Heidelberg

„An Hessen führt kein Weg vorbei.“ – Beim Nachbarschaftsseminar „Hessen meets BaWü“, organisiert und ausgerichtet von der baden-württembergischen und hessischen Landesjugendleitung, kam dieser Bundesland-Slogan aufgrund des Tagungsorts Heidelberg zumindest für die baden-württembergischen Teilnehmer*innen nicht zum Tragen. Dafür durften die hessischen Kolleg*innen erfahren, dass die Baden-Württemberger*innen alles können – außer hochdeutsch.

Das Seminar startete mit einem Kennenlernen und gemeinsamen Ausklingenlassen des Abends in der Heidelberger Altstadt. Mit guter Stimmung konnte dem regnerischen, stürmischen Wetter, welches am Abend durch starken Schneefall gekrönt wurde, entgegnet werden. Bei Sonnenschein ging es am Morgen des 09.04. in das Friedrich-Ebert-Haus, in dessen Sitzungssaal sich die Teilnehmer*innen über die Jugendverbandsarbeit austauschten. Dabei lag der Schwerpunkt auf der Analyse der Zusammenarbeit mit den Fachjugendverbänden. Die Bestandsaufnahme endete mit dem ernüchternden Ergebnis, dass es immer schwieriger wird, junge und engagierte Personen zu finden, die nicht nur monetäre Vorteile mit der Gewerkschaft verbinden, sondern aufgrund ideeller Werte gewerkschaftlich aktiv sind bzw. sein wollen. Daran anschließend wurden im Rahmen eines Workshops Lösungsmöglichkeiten entwickelt. Die baden-württembergischen und hessischen Teilnehmer*innen sind sich einig, dass insbesondere niedrigschwellige Angebote, z. B. Online-Formate sowie die Generierung persönlicher Kontakte bei der Nachwuchsgewinnung ausschlaggebend sind. Hierzu gilt es die Verbands- und Mitgliederstruktur zu analysieren, Bedarfe herauszukristallisieren und darauf aufbauend bspw. spezifische Seminare anzubieten. Neben diesem „Gefühl für die Zielgruppen“ bedarf es der Unterstützung durch die Dachverbände sowie einer regelmäßigen und ausgewogenen Kommunikation, insbesondere über die sozialen Medien. Einen weiteren Ansatzpunkt sehen die Seminarteilnehmer*innen hinsichtlich der Ausbildungsvertretungen in den jeweiligen Behörden bzw. Bildungseinrichtungen (z. B. Jugend- und Auszubildendenvertretungen, Ausbildungspersonalräte). Auch hier gilt es, auf diese zuzugehen, sich aktiv mit deren Themenbereichen auseinanderzusetzen und sie in ihrer Arbeit zu unterstützen. Ferner können Events, bei denen die Gewerkschaft bzw. gewerkschaftliche Themen nicht im Vordergrund stehen als „Door Opener“ fungieren.

Nach eigener Erkundung der Altstadt ging es am frühen Nachmittag weiter mit einer digitalen Schnitzeljagd. Die auf Wunsch der Teilnehmer*innen nach Geschlecht aufgeteilten Teams befanden sich auf der Jagd nach einem gefährlichen Virus, dessen Verbreitung nur durch die beiden Teams aufgehalten werden konnte. Hierzu waren insgesamt 12 Rätsel u. a. unter Zuhilfenahme von Augmented Reality und weiterer Utensilien aus einem vom Spielleiter ausgehändigten Koffer zu lösen. Schlussendlich gelang es beiden Teams, die „Welt zu retten“; dem „weiblichen Team“ mit einem geringen Zeitvorsprung. Am Abend wurden die Seminarteilnehmende von einem Nachtwächter durch das Heidelberger Schloss vor der Annahme, dass wir das Jahr 1622 schreiben geführt. Dabei bekamen die Teilnehmenden nicht nur authentische Einblicke in das historische Geschehen, insbesondere die am 01.07.1622 bevorstehende Belagerung Heidelbergs durch Truppen der Katholischen Liga unter General Tilly sowie die darauffolgende Einnahme der Stadt am 16.09. Ebenso erhielten sie einen atemberaubenden Blick vom Schlossturm, der über Mannheim bis in die Pfalz reichte sowie einmalige Einblicke in die Innenräume des Heidelberger Schlosses. Eine im Zuge der Führung hinzugekommene Magd unterbreitete Informationen über die damaligen Gewohnheiten. So erfuhren die Teilnehmer*innen die Bedeutung hinter dem Sprichwort „Alles in Butter“ und der Redewendung „etwas ausbaden zu müssen“. Ersteres stammt von den in weicher Butter eingelassenen Wertgegenständen des Königtums und den Schlossfenstern, welche für den Transport (hinsichtlich der Fenster aus Italien) in sich erhärtende Butter „verpackt“ wurden. Ausbaden musste derjenige, der die letzte Nummer beim Baden erwischt hatte, denn im 17. Jahrhundert war es gängige Praxis, dass ein einmal eingelassenes Bad einer zweistelligen Zahl an Personen verfügbar gemacht wurde.

Am Vormittag des letzten Tages vertieften die Teilnehmenden gewerkschaftspolitische Themen in den beiden Bundesländern. Dabei kam unter anderem das 4-Säulen-Modell zur Sprache, welches sich in Baden-Württemberg in der Umsetzung befindet und die Ämteranhebung im mittleren und gehobenen Dienst, die Neustrukturierung der Erfahrungsstufen, die Rücknahme der Absenkung der Beihilfebemessungssätze sowie die Erhöhung der kinderbezogenen Familienzuschläge für das erste und zweite Kind vorsieht. Während in Baden-Württemberg das Bundesverfassungsgerichtsurteil, welches eine Besoldung von 15 % über dem Grundsicherungsniveau vorsieht, mit diesem Modell gestaltend umgesetzt werden soll, steht in Hessen eine Realisierung noch aus. Dagegen werden die in Hessen bereits realisierten flexiblen Lebensarbeitszeitkonten in Baden-Württemberg momentan intensiv diskutiert. Ob dabei das seitens der BBW und der bbw-jugend gewünschte hessische Modell am Ende der politischen Debatte steht, ist zum momentanen Zeitpunkt noch nicht klar. Die baden-württembergischen Teilnehmer*innen berichteten von der Novellierung des Landesreisekostengesetzes, welche den Verzicht auf die hälftige Kürzung der Reisekosten sowie die Verbesserung bei der Wegstreckenentschädigung bedingt.

Daneben wurde der Quereinstieg in die Verwaltung vor dem Hintergrund der Qualitätssicherung, die Digitalisierung und elektronische Aktenführung, die Mobilität zwischen Behörden, Ländern und Laufbahngruppen sowie die – nicht gegebene – Einheitlichkeit von Rahmenbedingungen für duale Studiengänge thematisiert. Bedauerlicherweise stellte sich im Austausch heraus, dass sowohl in Hessen als auch in Baden-Württemberg große Mängel hinsichtlich Entwicklungsperspektiven und Führungskräfteentwicklung bestehen. Dies beginnt bei der fehlenden Anerkennung von Masterabschlüssen und mündet in der ausbleibenden Entlohnung ergänzender Führungsaufgaben. Mit der Folge: Die Attraktivität des öffentlichen Dienstes sinkt weiter und Spitzenkräfte, die besten Köpfe, nach denen immer gesucht wird, können nicht langfristig gehalten werden. Vor dem Hintergrund des Nachwuchsmangels in Kombination mit den anstehenden Pensionierungswellen ist dies eine erschütternde Bilanz.

Daran gilt es zu arbeiten: Seitens der bbw-jugend, der dbbj hessen und in konstruktiver Zusammenarbeit!

Summa summarum ein überaus gelungenes Seminar, welche einen Mehrwert für alle Teilnehmenden bot. Beim geplanten Gegenbesuch führt dann auch für die baden-württembergischen Teilnehmer*innen kein Weg an Hessen vorbei.