Der Vorstand der Ortsgruppe Bebra der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer setzt sich kritisch mit der Situation bei Hessischer Landesbahn (HLB) und cantus Verkehrsgesellschaft in der Zeit zwischen Weihnachten und den ersten Tagen des neuen Jahres auseinander.

Patrick Rehn, Mitglied der Ortsgruppe Bebra hierzu: “In den vergangenen Jahren hat sich die Situation auf dem Stellenmarkt bei den Lokomotivführern drastisch verschärft, so dass dieses Problem mittlerweile auch außerhalb der Ballungsräume angekommen ist.”

In den Regionen München, Stuttgart, Frankfurt und anderen kämpfen die verschiedenen Eisenbahnunternehmen seit Jahren mit sinkenden Bewerber- und Einstellungszahlen, denen jedoch immer größere Abgänge durch Versetzungswünsche, Rente oder Pensionierung gegenüberstehen. Um den Betrieb ansatzweise am Laufen zu halten greifen die Unternehmen dabei zu ungewöhnlichen Mitteln. Rehn: “Vor einigen Jahren hatten wir bei der S-Bahn Frankfurt die Situation, dass an den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr der Samstagsfahrplan gefahren wurde, so dass zahlreiche Züge nicht oder mitunter mit weniger Wagen fuhren. Hinzu kommen finanzielle Anreize für den vorübergehenden Verzicht auf freie Tage von teils einigen hundert Euro pro geleistete Schicht.”

Bei der HLB und cantus sieht die Situation ähnlich aus, wie Rehn weiß: “Als die Deutsche Bahn Verträge an andere Eisenbahnunternehmen verlor wechselte ein Teil der Kolleginnen und Kollegen zu dem neuen Unternehmen. Ein Teil der Kollegen blieb jedoch bei der DB und pendelte fortan teilweise weite Strecken zwischen Wohn- und Arbeitsort. Dies war und ist auch heute noch bei einem Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei cantus und HLB so, doch sobald sich die Möglichkeit für eine heimatnahe Beschäftigung eröffnet wechseln diese verständlicherweise.”

Mit dem Übergang der Zugleistungen im Nahverkehr von Eisenach über Erfurt und von Kassel, Nordhausen und Sangerhausen nach Halle sowie auf weiteren Strecken von der DB zum Unternehmen Abellio wechselten auch zahlreiche Lokführer von cantus, welche bisher aus den Regionen Eichsfeld, Wartburgkreis oder Nordhausen nach Kassel oder Bebra pendelten zum neuen Unternehmen.

Dieser absehbaren Entwicklung hat man bei cantus vor einiger Zeit bereits mit der Ausbildung eigener Lokomotivführer vorgebeugt. Hierfür finden die GDLer aus Bebra lobende Worte: “Bei cantus wird neben der sogenannten Funktionsausbildung von neun Monaten Dauer auch die mehrjährige Berufsausbildung angeboten, was nur sehr wenige Eisenbahnunternehmen machen. Das Vorhalten einer Ausbildungsabteilung, die Betreuung der Azubis und vieles andere Mehr kosten mehrere zehntausend Euro im Jahr. Dies begrüßen wir sehr, denn cantus ist damit eines von wenigen Unternehmen im Schienenpersonennahverkehr, welches einen hohen Wert auf die eigene Aus- und Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter legt.”

Dies allein macht das Berufsbild des Lokführer oder Zugbegleiter jedoch nicht attraktiver. Rehn: “Junge Leute entscheiden sich leider immer seltener für eine Ausbildung im Eisenbahnbereich, was besonders mit den hohen Belastungen durch den unregelmäßigen Wechseldienst zu unterschiedlichen Uhrzeiten sowie an Sams-, Sonn- und Feiertagen zusammenhängt. Erschwerend kommen die für die hohe Sicherheit im Bahnbetrieb erforderlichen Gesundheitswerte hinzu, welche viele leider nicht erfüllen können. Das während der Ausbildung anzueignende Wissen und das Bewusstsein für die hohe Verantwortung für hunderte Menschenleben oder Sachwerte niederiger bis mittlerer zweistelliger Millionenwerte sind ebenfalls nicht zu unterschätzende Faktoren.”

Ebenfalls alles andere als zuträglich dürfte sich die Aussage des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn Rüdiger Grube ausgewirkt haben, welcher vor einigen Jahren verkündete das ab 2021 die ersten Züge autonom fahren werden. Rehn: “Wer lernt schon drei Jahre einen Beruf, wenn sie oder er erwarten muss wenige Jahre später laut dieser Aussage wieder arbeitslos zu werden?”

Doch die Realität sieht zum aktuellen Zeitpunkt anders aus: Die Staatsbahnen Europas forschen teilweise komplett unabhängig und parallel voneinander an verschiedenen Projekten um Züge teilweise bis vollautomatisiert auf die Reise zu schicken.

Die aktuelle Infrastruktur sowie die technischen Parameter der Züge passen diesbezüglich jedoch nur bedingt zusammen, da eine entsprechende Ertüchtigung mehrere Milliarden Euro kosten und Jahrzehnte dauern dürfte bis man flächendeckend automatisiert fahren kann. Rehn: “Wir erwarten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Änderungen im gesamten Bereich des Eisenbahnwesen innerhalb Deutschlands und der Europäischen Union. Wir sind gerne bereit mit den Unternehmen und Forschern diese zu betrachten und uns mit den neuen Erfordernissen an die Technik zu befassen, welchen wir uns nicht verschließen können und wollen. Unserer aktuellen Einschätzung nach dürfte jedoch auch selbst dann noch jemand im Zug mitfahren, wenn diese irgendwann wirklich komplett allein fahren könnten. Alleine für die zügige Behebung und Abarbeitung von Störungen, technischen Gebrechen oder das Eingreifen in sicherheitsrelevanten Situationen dürften die Unternehmen ein hohes Interesse an einer schnellen Fortsetzung der Zugfahrt haben um eine stundenlange Blockade von Hauptstrecken zu verhindern. Dem Zug als technisches Gebilde ist es egal ob und wie lange er irgendwo steht, er wird dann auf Hilfe von außen warten. Die Fahrgäste an Bord werden das jedoch anders sehen.”

Der Beruf des Lokführer wird somit nicht aussterben – er wird sich allerdings ändern. Rehn: “Die GDL hat mit der Durchsetzung eines Flächentarifvertrag in den vergangenen Jahren viel dafür getan, dass Unterschiede bei Lohn und Arbeitszeit abgebaut wurden und man nach dem gesundheitsbedingten Verlust der Lokführer-Berechtigung nicht im Regen steht. Zudem gibt es Regelungen für den Übergang von einem Unternehmen zum anderen, beispielsweise bei Neuvergabe der Verkehre. Die Unternehmen und Aufgabenträger dürfen jedoch nicht die Augen verschließen und müssen weiter aktiv sein und bleiben und den Beruf insgesamt attraktiver machen. Denn mit jedem Lokführer weniger steigt das Risiko von weiteren Ausfällen.”

Pressemitteilung der GDL Ortsgruppe Bebra zum Download